Es ist ein schleichender Prozess. Aber heimlich, still und leise neigt sich die Stillzeit mit meinem Ämmale dem Ende zu. Und schon jetzt empfinde ich Wehmut.

Das Stillen ist eine sehr persönliche Angelegenheit und ich habe nie verstanden, warum bei diesem Thema so viele Mütter auf einmal übergriffig werden und einen entweder in die eine, oder auch in die andere Richtung schubsen und drängen wollen.

Die Gründe, warum jemand stillt oder nicht, sind so vielfältig und individuell wie die Frauen und ihre Kinder selbst.

Für mich war es schon beim Eiliensche damals ein absoluter Herzenswunsch.  Das Stillen. Ein tiefes, inneres Bedürfnis, dass ich nicht rational erklären kann.

Im Bekannten- und Verwandtenkreis erntete ich viele verständnislose Blicke. Warum war gerade ich, die lange Jahre nicht einmal einen Kinderwunsch hatte, plötzlich so versessen darauf, meinem Kind die Brust zu geben?  Warum litt ich so darunter, die Stillbeziehung mit dem Eiliensche nach neun Wochen auf Anraten der Ärzte beendet zu haben? Welcher Gehirnwäsche um Himmels willen war ich da zum Opfer gefallen?

Fakt ist, dass es sich für mich anfühlte, als hätte ich eigenhändig eines dieser aus Liebe und Zuwendung gewebten Bänder, die mich und das Eiliensche verbanden und verbinden, gewaltsam und unwiderruflich zertrennt. Ratsch.

Als ich sie nach 9 Woche abstillte, fühlte sich das im allerersten Moment erleichternd an. Weil ich die Nahrung jetzt andicken und hoffen konnte, dass die Erstickungsanfälle und das extreme Spucken von nun an der Geschichte angehörten. Im zweiten Moment schmerzte diese unsanfte Entkopplung aber bereits. Dass die Erstickungsanfälle und das fontänenartige Spucken nicht mit der wässrigen Konsistenz der Muttermilch zusammenhingen, sondern von einer ausgeprägten Kuhmilchweissallergie herrührten, stellte sich erst nach Beendigung der Stillbeziehung heraus. Als das Eiliensche plötzlich Blut in der Windel hatte und das nicht zu knapp.  Mit kuhmilchfreier Ernährung hätte ich problemlos weiterstillen können. (Was ich dann beim Ämmale – da war ich schlauer – gemacht habe.) Relaktieren war immer wieder ein Gedanke, aber ich habe es nicht mehr versucht, weil es dem Eiliensche mit der hydrolisierten Säuglingsmilch offenbar sehr gut ging und das Umstellen auf diese bittere Milch kein Spaziergang gewesen war.

Auch ohne das Stillen sind wir uns sehr nah.  Ausgedehntes Kuscheln ist für uns genauso lebensnotwendig wie Essen und Trinken.

Dennoch versetzte es mir jedes Mal einen heftigen Stich, wenn ich andere stillende Mütter sah.

Und als meine zweite Tochter auf dem Weg war, schwor ich, dass ich diesmal noch mehr darum kämpfen würde, zu stillen. Sofern mein Ämmale stillen wollen würde. Dies wäre dann auch meine Chance, diese nie verheilende Wunde endlich schließen zu können.

Dass es nicht einfach werden würde, wusste ich aus der Erfahrung, die ich mit dem Eiliensche gesammelt habe. Stillen, abpumpen, zufüttern. Davon und von dem Gefühl, Sisyphos den Rang abzulaufen, waren die ersten beiden Monate geprägt. Als wir es dann endlich geschafft hatten mit dem Vollstillen, mussten wir auch schon wieder aufhören.

Direkt nach der Geburt hängte sich das Ämmale hochmotiviert an meine Brust. Leider fuhr dieses Engangement binnen weniger Tage fast auf Null herunter.  Schneller als mir lieb war, geriet ich wieder in diesen Teufelskreis aus Stillen, Abpumpen und Zufüttern. Insbesondere das Gepumpe machte mich fertig. Zumal da nie viel Milch zusammenkam. Was mich sehr verunsicherte. Produzierte ich wirklich nur diese wenigen ml Muttermilch? Dann könnte ich es ja auch gleich bleiben lassen. Zuerst legte ich aber zum Glück nur Eines ad acta und zwar das Pumpen. Das Ämmale nahm trotzdem stetig zu und auch das Zufüttern wurde mit der Zeit immer weniger. Es ist nicht wahr, dass Zufüttern unweigerlich den Abstillprozess einleitet. Nur übertreiben sollte man es nicht.

Dennoch war es zwei Wochen nach der Geburt nur einer glücklichen Fügung zu verdanken, dass ich nicht doch noch abgestillt habe. Ich war gerade inmitten einer Thrombosebehandlung und hatte mir nun auch noch eine schwere Lungenentzündung eingefangen. Zudem Milchstau und wunde Brustwarzen. „Das war`s jetzt“, dachte ich. „Wenn ich so weitermache, gehe ich noch hops.“ Als ich zu diesem Entschluss gelangte, war es aber Freitag Abend. Von meinem Frauenarzt würde ich die Abstillpille jetzt erstmal nicht bekommen. Meine Nachsorgehebamme redete mit Engelszungen auf mich ein.  Meinte, ich hätte es fast geschafft. Abstillen könne ich immer noch. Sie wisse inzwischen, wie viel mir das Stillen bedeute und ich würde es bereuen, wenn ich nun die Flinte ins Korn schmisse. Zwar hätte ich ihr in diesem Moment mit ausgefahrenen Krallen ins Gesicht springen mögen, aber sie behielt recht.

Das Ämmale und ich überwanden auch dieses Tief.

Irgendwann hatten wir uns aufeinander eingespielt.

Die wunden Brustwarzen begleiteten mich jedoch viele Monate. Bis das Stillen wirklich zu einer schönen, angenehmen und entspannten Angelegenheit wurde, sollte es dauern. Eine gewisse Linderung brachten die Multimam-Kompressen und der Brustwarzenbalsam von der gleichen Firma. Auch Schwarzteebeutel halfen den Brustwarzen beim Verheilen. Dass ich mir damit diverse Kleidungsstücke ruinierte – trotz Stilleinlagen – nahm ich gerne in Kauf. Lanolin und Co. sowie Brustwarzenschoner brachten mir rein gar nichts.

Warum meine Brustwarzen anfangs – und sogar jetzt noch ab und an – so ausgesprochen empfindlich sind – dieses Rätsel konnten selbst diverse Stillberatungen nicht lösen.  Und auch in Sachen Milchstau bin ich sehr anfällig. Da muss ich wirklich aufpassen wie ein Luchs.

Sei`s drum.

Als das Ämmale dann ca. vier Monate alt war, konnten wir das Stillen allmählich richtig geniessen.

Zwar schickten mich weitere Krankheiten immer wieder auf einen Schnupperkurs in die Hölle, aber das ist eine andere Geschichte.

Unsere Stillbeziehung war inzwischen so stabil geworden, dass ihr diese Einschnitte nichts anhaben konnten.

An anderer Stelle hatte ich schon einmal geschrieben:

Der Preis ist hoch, aber der Gewinn ist unendlich viel höher.

Das trifft auch auf die Stillzeit mit meinem Ämmale zu.

Stillen ist soviel mehr als (Er)nähren:

Es ist

… innige Verbundenheit

… Geborgenheit

… Entschleunigung

… trostspendend

… beruhigend

… Wärme

… Zuwendung

… entspannend

… schlaffördernd (Für mich mit meiner chronischen Insomnie schlicht unbezahlbar.)

Wenn das Ämmale und ich stillen, kann uns die Welt drumherum nichts anhaben. Wir sind dann immer auf unserer eigenen privaten Insel, deren Koordinaten nur wir alleine kennen.

Dies hier schreibe ich vor allem auch, weil ich es nie vergessen will: Dieses warme, den ganzen Körper durchströmende Glücksgefühl.  Wenn das Ämmale angedockt hat, sind wir (wieder) eins. Es ist Sinnlichkeit in ihrer reinsten Form.

Ich schaue sie an. Wie sie konzentriert trinkt. Der Rhtyhmus ist monton. Meditativ. Das sanfte, aber bestimmte Ziehen hält aber zumindest einen kleinen Teil von mir hier, in der Gegenwart. Ihre kleinen, weichen Hände streicheln meine Brust. Bisweilen patschen sie auch ungeduldig.  Ihr seidiges Köpfchen schmiegt sich in meine Handkuhle.

M. gehört zum Glück zu den Männern, welche die Sinnlichkeit und die Magie des Stillens erkennen und sich dadurch weder abgestossen noch benachteiligt fühlen. Er ist nicht eifersüchtig und meldet auch keine Besitzansprüche an.

Dennoch ist er manchmal herzlich unromantisch. Zu meinem von diesen tiefen Gefühlen inspiriertem Aquarell (siehe oben) sagte er: „Hm, aber so ganz klar ist nicht, ob das Ämmale da stillt oder gerade einen Luftballon aufbläst.“