Vollmundig habe ich überall verkündet, das Ämmale sei jetzt abgestillt. Seit sieben Tagen ist das tatsächlich der Status quo.  Der Antibiotikumhammer wäre laut Embryotox sogar mit dem Stillen vereinbar gewesen, nicht aber die Codeintropfen. In den 15 Monaten,  die sie auf dieser Erde weilt, hat meine Zweitgeborene schon so manche medikamentöse Gewalttour mit mir durchlebt, aber ein Opiat wollte ich ihr nun wirklich nicht antun.

Das Codein habe ich allerdings nur zwei Tage gebraucht. Eventuelle Rückstände sind längst abgebaut. Und die Antibiotikumkur ist nun auch beendet. Heute morgen habe ich die letzte Tablette eingeworfen.

Und jetzt sitzt mir so ein hirnverbranntes Teufelchen auf der Schulter, das mir beschwörend ins Ohr flüstert. Es meint, dass ich doch Relaktieren könnte. Nach einer Woche stehen die Chancen noch nicht allzu schlecht. Aber das wäre absolut idiotisch. Das Abstillen lief völlig problemlos.  Sowohl meine Brust, als auch die Gier des Ämmale betreffend.  Keinerlei Schmerzen, kein Milchstau, keine Knoten. Die paar Schlucke, die meine Kleine noch getrunken hat, wurden von meinem Körper offensichtlich stillschweigend absorbiert.  Das Ämmale selbst hat mit flehendem Blick zweimal auf das Stillkissen gedeutet und danach versucht, sich unter meinen Pulli zu graben, aber dann akzeptierte sie ohne Murren, dass die mütterliche Milchbar fortan geschlossen ist. Zwar waren wir wohl beide emotional noch nicht ganz soweit, aber wann ist man das schon. Es wäre also bescheuert, wieder anzufangen. Auch unter dem Aspekt, dass mir das Abstillen medikamentös ganz andere Möglichkeiten eröffnet und ich jetzt echt mal zusehen muss, dass ich aus diesem dauerkranken Zustand herauskomme. Mein Körper sollte sich nun eigentlich wieder auf sich und seine Regeneration konzentrieren dürfen. Außerdem ist das Ämmale kein kleines Baby mehr, sondern ein Miniterminator mit der Durchschlagskraft einer Kanonenkugel. Dennoch kann ich nicht dafür garantieren, dass ich sie nicht doch wieder anlege. Sofern sie das will.

Obwohl sie die Zerstörungswut in personam und ihr Milchgebiss nun bis auf die letzten vier Backenzähne vollständig ist, hat sie mich in der gesamten Stillzeit übrigens nur eine Handvoll Male gebissen. So behutsam und sanft sie mit meiner Brust umgeht, so ungehobelt verfährt sie mit fast allem Anderen.  Sie hebt nicht nur Schranktüren aus der Spielküche mit Leichtigkeit aus ihrer Verankerung, sondern auch echte Ofentüren, die schwerer sind als sie selbst. Im ersten Fall konnten wir das zerborstene Holz kleben, im zweiten Fall mussten wir einen neuen Herd kaufen. Eine Steh- und eine Nachttischlampe, unzählige DVDs und CDs, Bücher und Kleidungsstücke gehen ebenfalls auf ihr Konto. Von den Spielsachen gar nicht zu reden. Als ich kürzlich ein Foto vom Eiliensche betrachtet habe,  konnte ich mich vor Lachen kaum halten. Im Hintergrund waren tatsächlich Orchideen zu sehen, die wir arglos auf dem Fensterbrett in Kleinkindreichweite drapiert hatten. So etwas wäre mit dem Ämmale undenkbar. Wo es geht und steht, hinterlässt es eine Schneise der Zerstörung, buddelt diese aber mit Charisma und Liebenswürdigkeit hurtig wieder zu.  Als ich vorhin mit meiner Zweitgeborenen  vom Kindergarten nach Hause ging, hätte ich beim Überqueren der Straße fast einen Salto (mortale) mit dem Kinderwagen inklusive schelmisch grinsendem Inhalt gemacht.  Der kleine Wirbelwind hat es tatsächlich geschafft, aus seiner Position den Hebel für die Bremse zu betätigen. Bis ich das allerdings geschnallt habe,  mussten wir noch zwei weitere solcher Stunts hinlegen.

Da es mir jedoch momentan gesundheitlich besser geht und ich die letzten beiden Nächte jeweils vier Stunden plus geschlafen habe, kann ich das alles gerade einigermaßen locker wegstecken. Mit weniger Schlaf und zubetonierten Nebenhöhlen, hätte ich heute wahrscheinlich schon mindestens zwei Weinkrämpfe hinter mir.

Prompt wurde ich, das größte Nerverl unter der Sonne, darauf angesprochen, wie bewundernswert ruhig und gelassen ich stets mit den Kindern umginge. Erstaunlich, wie Eigen- und Fremdbild oft divergieren.

Aber seit gestern schwebe ich tatsächlich auf einer fluffigen Zen-Wolke und versuche mein Bestes, nicht unbeabsichtigt abzustürzen.

Mein Geruchssinn ist zurückgekehrt und ich genieße diesen Zustand in vollen Zügen. Heute Früh habe ich die klare Luft tief in meinen Lungen gesaugt. Trotz ihrer Frische trug sie ein angenehmes Raucharoma mit sich, das mir gefehlt hat, obwohl ich es nie bewusst wahrgenommen habe. Ich spreche nicht von Zigarettenqualm und auch nicht von Autoabgasen, sondern von einem appetitlichen Duft, der mich gerade auch in meinem geliebten Südtirol schon oft angeweht haben muss. Als ich kurz die Augen schloss, fühlte ich mich jedenfalls auf den Ritten und den alten Bauernhof versetzt, der uns jedes Jahr beherbergte, Beinahe konnte ich die Grillen zirpen hören, die in Morgennebel getauchten Bergspitzen und die von den Sonnenstrahlen weichgezeichneten Weinberge vor mir sehen. Es ist wirklich irre, wieviele Erinnerungen mit einem einzigen Dufthauch verknüpft sein können.

Bevor es jedoch zu kitschig wird, widme ich mich lieber wieder den knallharten Fakten: Es liegt auf der Hand, dass es das Antibiotikum war, das meine Nebenhöhlen wieder freigepustet hat. Nasenspülungen, obgleich gewissenhaft praktiziert, haben bei mir leider nicht einmal annähernd die gleiche Wirkung.

Was bedeutet diese Erkenntnis also in der Konsequenz? Ich muss ein natürliches Antibiotikum finden, das ich dauerhaft einnehmen kann, um mir meinen Geruchssinn zu bewahren und bakterielle Infektionen und Entzündungen im Keim zu ersticken.

Kolloidalem Silber wird eine solche Wirkung nachgesagt. Bei mir hatte es jedoch nicht einmal einen Placebo-Effekt. Meerrettich und Ingwer konsumiere ich schon regelmäßig, aber vielleicht noch nicht oft genug. Daher werde ich dieses Rezept für die Erstellung eines natürlichen Antibiotikums einfach ausprobieren. Der ein oder andere mag jetzt die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Aber was soll ich statt dessen tun? Aufgeben vielleicht? Resigniert dabei zusehen, wie mein Geruchssinn klammheimlich ins Nirwana entschwindet? Kommt gar nicht in die Tüte.

Das neunte Kapitel meines Blogromans hat inzwischen in meinem Kopf monströse Ausmaße angenommen und drängt darauf, endlich freigelassen zu werden. So gerne möchte ich ihm Tür und Tor öffnen, aber ich finde den Schlüssel gerade nicht. Ich glaube, er ist in den Zeitshredder gefallen. Den hole ich mir aber wieder.

Das Titelbild zeigt eine aktuelle Zeichnung des Eiliensche. Schwarze Hexe rechts, rotes Feuer links. Manchmal erschreckt es mich, dass sich unsere Gedankenautobahnen oft an den unmöglichsten Stellen kreuzen.