Von jung und angejahrt in Wort und Bild

Tagesnotizen #34: Gedankensplitter

Ich habe mir in meinem ganzen Leben noch kein einziges Mal die Haare gefärbt und angesichts meiner sich mehrenden grauen Strähnen, die in dem dunklen Haar besonders eindrucksvoll zur Geltung kommen, bin ich mir nun unschlüssig, ob ich in absehbarer Zeit nicht doch damit anfangen sollte. Andererseits finde ich, dass kein Friseur und kein Haarfärbeprodukt die Natur auch nur annähernd imitieren kann. Meiner bescheidenen Ansicht nach ist die Originalhaarfarbe immer die Schönste. Agouti – wildfarben eben. Ich mag es, dass meine Haare nicht einfach nur braun sind. Dass fast schwarze Strähnen sich mit kaffee- und kastanienbraunen mischen. Letztere leuchten im Sonnenlicht rötlich. Konsequenterweise sollte ich auch die silbern glitzernden Härchen mögen, die nun zunehmend meinen Kopf besiedeln.

Die Spuren des Alterns akzeptieren.

Und nebenbei Vater, Mutter, Kind spielen.

Dieses Gefühl beschleicht mich tatsächlich häufig. In den Babyjahren hatte ich keine Zeit, darüber zu sinnieren. Da funktioniert man hauptsächlich und für das eigene ich bleibt wenig Raum.

Die Liebe zu meinen Kindern ist echt.

Die Liebe zu meinem Mann ist echt.

Das ganze Drumherum aber ist nicht immer so echt.

Manche sind ihr Leben lang krampfhaft darum bemüht, außergewöhnlich zu sein. Sich von der Masse, von den „Normalos“, abzuheben.

Ich dagegen bin mit den Jahren von einem völlig unangepassten Kind und Teenager zu einer überangepassten Meisterin in Sachen Selbstverleugnung mutiert.

Wahrscheinlich empfinde ich deshalb jegliche Form von gesellschaftlichen Aktivitäten als so unheimlich anstrengend. Stammtische, Feiern, Events und Pflichtveranstaltungen jeglicher Art waren und sind mir schon immer ein Gräuel.

Vielleicht, weil ich mir abverlange, so zu tun, als würde ich gewisse Erwartungshaltungen zumindest ansatzweise erfüllen und als hätte ich Spaß an belanglosem Allerweltsgeschwafel.

Vielleicht bin ich aber auch nur einfach gerne allein. Aber nicht im Sinne von einsam. Mit meinem Mann zusammen kann ich zum Beispiel unheimlich gut allein sein.

Es ist auch nicht so, dass ich nie irgendwelche Menschen außer meiner Familie um mich haben will. Aber es müssen die richtigen sein. Und die Treffen wohldosiert. Auch Themen und Diskussionen, die mich interessieren, kosten mich unheimlich viel Energie. Ich bin niemand, der in Gesellschaft auftankt.

Ich habe andere Kraftquellen. Schreiben, Tanzen und Lesen vor allem.

Auch meine Kinder können mich „aufladen“. Sofern sie sich nicht gerade gegenseitig die Köpfe einschlagen.

Meine Ballettlehrerin hat mich gestern auf meine Romane angesprochen. Als ich ihr erzählte, dass es sich bei meinem aktuellen Projekt um eine Liebesgeschichte handelt, die die Protagonistin über mehrere Jahrzehnte hinweg begleitet, wirkte sie sehr interessiert und erzählte mir, dass sie gerade „Meine geniale Freundin“ von Elena Ferrante (Pseudonym) liest. Vom Titel her sagte mir diese Geschichte natürlich etwas. Das „Ferrantefieber“ hat schließlich inzwischen ziemlich um sich gegriffen und die Romanreihe wird in sämtlichen Literaturforen rauf uns runter diskutiert. Bisher hatte ich aber nicht einmal einen Blick in den Klappentext geworfen, da ich zugebenermaßen in anderen Genres lese als ich derzeit schreibe. Und ich denke, das muss auch nicht verkehrt sein. So ist die Gefahr, in irgendwelche stereotypen Muster zu verfallen, vielleicht nicht ganz so groß.

Da ich meine Ballettlehrerin aber sehr schätze und von ihrem guten Geschmack überzeugt bin – und außerdem schon allein das Wort „Neapel“ eine ziehende Sehnsucht in mir auslöste, habe ich mich nun doch ein wenig informiert. Die Rezensionen sind gemischt. Einerseits reizt mich die sprachliche Virtuosität, die dieser Schriftstellerin zugeschrieben wird. Zitate wie „Das Brautkleid lag wie eine Tote auf dem Bett“ wecken meine Neugier und gefallen. Andererseits aber stellen sich bei mir angesichts der Thematik, einer rivalisierenden Frauenfreundschaft, sämtliche Körperhaare auf.

Konkurrenzdenken und Neid scheinen in dieser „Freundschaft“ eine große Rolle zu spielen und diese Attribute machen mir beide Protagonistinnen leider auf Anhieb extrem unsympathisch. Mit solchen weiblichen Exemplaren durfte ich auch schon mehr als ausreichend Erfahrungen sammeln. Und keine dieser „Freundschaften“ hat langfristig überlebt. Ich HASSE diesen Drang, sich vergleichen und gegenseitig übertrumpfen zu wollen. Und wenn das ganze Dilemma dann noch mit der ein oder anderen Intrige gewürzt wird, renne ich schreiend davon.

Jemand, dem ich sehr gerne zuhöre und dessen Gedanken und Humor ich als unverbraucht und inspirativ empfinde, ist übrigens Karl Lagerfeld. Vor ein paar Tagen habe ich mir einige Dokumentationen mit und über ihn angesehen und mich keine Sekunde gelangweilt.

22 Kommentare

  1. Ed

    Was Freundschaften und auch Einsamkeit in deinem Sinne betrifft, gehe ich vollkommen mit dir mit.

    „Ich-Zeiten“ bzw. „Wir-Zeiten“ bei euch haben nichts mit Einsamkeit zu tun.

    Genießt sie. Ich mache es ebenso.

    Euch ein schönes Wochenende:-)

    • Federfarbenfee

      Danke. Das wünsche ich dir auch!

  2. Ed

    *knicks

  3. weristginger

    Ich finde vor allem größere Runden auch immer ziemlich anstrengend, wenn jedes tiefergehende Gespräch zugunsten eines leicht verdaulichen Smalltalks verebbt. Da ist mir der klassische Dialog deutlich lieber.

    Wäre doch schön, wenn du dich mit deinen Haaren in ihrer natürlichen Schönheit einfach anfreunden könntest, oder? 🙂

    • Federfarbenfee

      Mein Haar IST mein Freund. Daher will ich die Freundschaft auch nicht verraten. ? Es ist also durchaus wahrscheinlich, dass ich bald als „Silberrücken“ durch die Gegend laufe.

  4. Juni

    Diese großen gesellschaftlichen Runden. Anstrengend. Ich stimme dir in so vielem zu. Einschließlich deiner Meinung über Karl Lagerfeld. Was habe ich über sein Zitat gelacht: „Wer Jogginghosen trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“

    • Federfarbenfee

      ? Ich wusste ja schon längst, dass ich völlig out of order bin.

      Mir gefällt dieses hier auch sehr: Lagerfeld wurde da befragt, wie er damit umgeht, wenn eine Kollektion mal keinen Anklang findet.
      Er: „Ich habe die Mentalität eines Profikillers. Manchmal schieße ich daneben, aber das ist mir dann auch egal.“

      • Juni

        Herrlich, der Mann ?

  5. manticore

    Irgendwann steht Jede und Jeder vor dem Spiegel und sagt sich „und jetzt?“
    DU gibst DIR mit diesem Eintrag die Antwort. Kompliment!
    LG manticore

    • Federfarbenfee

      Dankeschön. Komplimenten gegenüber bin ich immer sehr aufgeschlossen.??

    • Federfarbenfee

      Lieben Gruß zurück!

  6. Milou

    Ich bin schon früh grau geworden, Anfang 30 fing es bei mir an. Als ich damals immer öfter auf meine grauen Schläfen angesprochen wurde, war es mir zu blöd und ich habe erst mit Tönung angefangen und dann, als das nicht mehr reichte, mit Farbe weitergemacht. Ich fühlte mich einfach noch zu jung für grau. Heute hänge ich im Teufelskreis der Färberei fest. Da ich ähnlich dunkle Haare habe wie du, ist das Herauswachsenlassen keine ansehnliche Option für mich. Ich habe jetzt fast neun Monate nur den Ansatz nachgefärbt und das andere „drunter“ in Originalfarbe nachwachsen lassen (noch nicht an allen Stellen wirklich grau). Das sah dann irgendwann aus, wie hellere Strähnen. Wurde mir aber dann jetzt doch wieder zu „fleckig“ und ich habe komplett gefärbt. Ich würde dir also raten, lass es so, wie es ist und die Chemie vom Kopf 🙂

    Zum Thema „Gesellschaftliche Aktivitäten“ und „Freundschaft“ hast du mir aus dem Herzen geschrieben. Mit zunehmenden Alter fühle ich mich in großen Runden auch mehr und mehr unwohl. Ich bin auch gern allein (nicht einsam) und kann mich schon immer bestens selbst beschäftigen 😉

    • Federfarbenfee

      Danke für deine Erfahrungswerte in Sachen Färben! Ja, du hast mich darin bestärkt, dass das wahrscheinlich nix für mich ist. ?

      Und ich finde es interessant, dass es dir in Sachen Gesellschaft ähnlich geht wie mir. In meinem direkten Umfeld sind mein Mann und ich die einzigen Gesellschaftsmuffel.

  7. Nell

    Hier im Bioladen sieht man öfters Frauen, meistens Schweizerinnen, mit ganz langen angegrauten Haaren. Das sieht toll aus, wenn die Haare lang sind. Ich trau mich das noch nicht, ich töne meine, weil ich wirklich dicke weiße Strähnen auf dem Kopf habe. Schon mit 18 hab ich meine ersten grauen Haare gekriegt. Tönung find ich aber auch gut. Sieht auch noch bisschen natürlicher aus. Allerdings blutet es ja immer ewig aus, wenn sie nass sind. – Ich find es toll, wenn sich das Jemand traut. Und wenn sie nur leicht angegraut sind, sieht es bestimmt noch gut aus.

    • Federfarbenfee

      Dicke, weiße Strähnen sehen aber bestimmt auch toll aus! Mit 18 die ersten grauen Haare ist allerdings wirklich früh. Glaube, da hätte ich dann wahrscheinlich auch zur Tönung gegriffen.

      Ja, momentan überwiegen die dunklen Haare – noch.

  8. Mäusemamma

    Ich lebe ebenfalls nach dem Motto „Lieber allein als in schlechter Gesellschaft.“ Binauch lieber Jemand, der alleine sein Ding macht als ein Herdentier zu sein…denke auch gerade über einen Blogartikel nach. Sind wir wegen dieser Einstellung jetzt Misanthropen??
    Viele liebe Grüße! Claudia

    • Federfarbenfee

      Dein Motto gefällt mir! ?

      Na, gewisse misanthropische Tendenzen sind da wohl nicht von der Hand zu weisen, aber zur Hardcore-Variante zählen wir sicher nicht. Sonst hätten wir keine Kinder.

      Wir waren gestern bei meinen Eltern, die sich vor Jahrzehnten einen alten Einödhof gekauft haben und am liebsten auch für sich sind. Und meine Mutter hat mir ihr altes Tagebuch in die Hand gedrückt, in dem sie handschriftlich meine Entwicklung festgehalten hat. Und bereits auf der ersten Seite, die ich aufschlug, stand groß und breit, dass mir schon als Vierjährige Gesellschaft schnell zu viel wurde und ich am liebsten für mich allein war. Hab auch mal bei einer Kinderparty hochkant alle Kinder rausgeschmissen. Ich weiß nicht, warum ich so bin.

      • Mäusemamma

        Sorry- habe Deinen Kommentar erst jetzt gesehen! Ich finde es gar nicht schlimm, wenn man auch schon als Kind „sein Ding“ macht anstatt sich dem Gruppenzwang unterlegen zu fühlen. Mich setzen gewisse Erwartungshaltungen auch unter Druck und in der Hinsicht werde ich dann wohl egoistisch

  9. Kätzerin

    Bluten Haartönungen also immer noch so heftig aus, bei manchen hab ich danach gar nix im Haar erkennen können. Ò_ó Du hast ein Haar, das sich zeitlebens sehen können lassen wird, meins umgekehrt. Mehr Worte bedarf es hierzu nicht. Ansonsten hat mir Geselligkeit gefehlt, trotz der Tatsache, daß ich wg Verpflichtungen an keinem Abend und Nachmittag mehr zuhause war. Aber darüberhinaus ging auch nix mehr, mein energetisches Kontingent mußte eh schon zuungunsten der Gesundheit überzogen werden. Darum genieße weiterhin die knappe Zeit, die Du daheim für Dich mit Mann und Mäusen hast, wo Du eh zu wenig Schlaf hast … ;-*

    • Federfarbenfee

      Zum Ausbluten kann ich nichts sagen. Hab da wirklich null Erfahrung.

      Na, ich habe bisher noch keinen Haarschopf gesehen, der in seinem natürlichen „Farbzustand“ unansehnlich war. Aber das ist natürlich jedem selbst überlassen.

      Ja, ich genieße. Sowohl die Zeit mit der Familie als auch die, in der ich komplett meine Ruhe hab. ?

  10. Evilcat1909

    Ich war nie sonderlich gesellig, mich strengen andere Menschen, besonders in großen Horden, viel zu sehr an. Das liegt vor allem an meiner Hochsensibilität. Ich selbst finde es nicht schlimm, wenig gesellig zu sein, aber die Umwelt versteht es einfach nicht. Dann heißt es immer „mit dir stimmt doch etwas nicht?!“, „Warum willst du nicht nach der Arbeit mal was Schönes machen?“ Aber – ich mach doch was Schönes nach der Arbeit: ich geh nämlich heim 😉

    • Federfarbenfee

      Mir hat auch mal jemand empfohlen, einen Test wegen Hochsensibilität zu machen. Habe den Rat befolgt und war fast erschrocken darüber, wieviel davon auf mich zutrifft. Habe das aber noch nicht anderweitig abchecken lassen. Denn – was mach ich dann mit dieser Diagnose? Ist schon interessant, dass gerade hier so viele ähnlich ticken. In meinem „realen“ Umfeld haben auch die Wenigsten Verständnis dafür. Wenigstens sag ich inzwischen klipp und klar, was Sache ist und erfinde nicht mehr irgendwelche Ausreden. Entweder kommt man damit klar – oder halt nicht. Komme halt nie ganz aus, weil ich sehr kontaktfreudige Kinder habe und ich ihnen natürlich nicht die Möglichkeit nehmen will, sich mit ihren Freunden zu treffen. Und noch sind sie so klein, dass ich das organisieren muss.

      Deine Antwort bzgl. „Was Schönes nach der Arbeit machen“ ist 1a! ??

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